Warum haben so viele Chinesen einen englischen Namen?

„Hi, my name is Tony!”, dies oder ähnliches bekommt man gelegentlich von chinesischen Emailservern. Neben Tony gibt es auch viele Leos, Ryans und Kevins.

Doch heißen sie wirklich so?
Nein, selbstverständlich nicht. Viele Chinesen, die mit dem Ausland zu tun haben, suchen sich englische Namen, da englische Namen erstens cool sind und zweitens wissen die „Tonys“, dass wir „Lǎowài“ uns chinesischen Namen nur schwer merken können. (Anm.: Lǎowài ist die Bezeichnung der Chinesen für Ausländer, in unseren Worten: Langnase.) Wem in unserem Breitengrad geht ein Kevin nicht leichter über die Lippen als ein Qian Chuanyong?

Doch woher nehmen sie ihre englischen Namen?

Viele Chinesen hatten Englisch in der Schule und haben den Namen, seit sie ihn von ihrer Englischlehrerin verpasst bekommen haben. Behält man sie ein Leben lang? Nicht unbedingt.
Ich erinnere mich an meine chinesische Sprachpartnerin während meiner Studienzeit in Peking. Wir trafen uns nur über einen kurzen Zeitraum und ich muss gestehen, dass ich ihren chinesischen Namen nach über 13 Jahren vergessen habe, aber den englischen Namen weiß ich noch: Ring. Ohne „the“. 😊 Als sie mir davon berichtete, war ich natürlich neugierig, wie sie auf den Namen gekommen war. Ihre Antwort: „Eigentlich war mein englischer Name Jane. Aber mein Freund hat mir letztes Jahr einen Ring geschenkt, da fiel mir auf, dass ich das englische Wort dafür gar nicht kannte. Als ich es nachschlug, fand ich es so schön und habe mich umbenannt.“

„Ring ist aber gar kein englischer Vorname.“ – Dies störte Ring nicht. Heute denke ich, dass ihr nicht bewusst war, dass es so etwas wie einen Namenskatalog in der westlichen Welt gibt. In China ist das nämlich anderes. Chinesische Vornamen haben immer eine Bedeutung. Eine meiner Bekannten in Peking hat einen Sohn, der SonneMond heißt. Zwei Wörter, zwei chinesische Schriftzeichen. Gewöhnlich haben chinesische Vornamen nur ein bis zwei Silben (ein chinesisches Schriftzeichen entspricht einer Silbe), doch kann man in den letzten Jahren einen Trend zu längeren Vornamen mit drei Zeichen (also drei Silben) erkennen.

Chinesische Vornamen

Zu Zeiten der Kulturrevolution hatten die Menschen in China zu wenig.  Von allem. Kinder waren mehr eine Last als ein „Glück“. In der Literatur gibt es aus dieser Zeit auch Beispiele, dass Eltern, die kaum mehr etwas besaßen, ihr (ungeplantes) Kind nach dem benannten, was sie gerade sahen oder ihnen in den Sinn gekommen ist, wie zum Beispiel „Zhuō Yǐ“, zwei Zeichen für Tisch und Stuhl. Doch loyale chinesische Bürger nannten ihre Kinder in der Zeit auch Wèihóng (schützt die Roten – damit war die Revolution gemeint) oder Wèidōng (schützt Dong = Máo Zédōng) oder auch Xuénóng (lernt von den Bauern). Chinesische Vornamen sind nicht explizit geschlechtsspezifisch, aber man kann gewisse Namen anhand der Zeichen oft dem jeweiligen Geschlecht zuordnen.

Allgemein kann man aber sagen, dass chinesische Eltern ihren Kindern gern Namen von Ereignissen geben, die im Jahr der Geburt stattfinden. So wurden zum Beispiel im Jahre 2008, dem Jahr der Olympischen Spiele in Peking, in Summe 4.783 Babys àoyùn genannt, Olympia, egal ob es ein Mädchen oder ein Bursch war.

Warum gibt es so viele Kevins und Ryans?

Für einige englische Namen gibt es phonetische Übersetzungen mit Bedeutung, daher sind sind sie besonders beliebt. Zum Beispiel:

Kevin: Kǎiwén = Triumph + Kultur

Ryan: Ruìēn = glückbringend/glückverheißend + Güte

Doch was machen wir mit Leo? Leo wäre ein phonetisches Liú (刘), ein gängiger Familienname in China. Aber mit Leo verbinden viele den Kassenschlager Titanic. Der Film mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle kam Ende der 90er in die chinesischen Kinos. Der Schauspieler und der Film sind in China so beliebt, dass 2012 eine 3D-Version herauskam und rund 90 Mio. Euro einspielte. In der Provinz Sichuan wird seit 2014 sogar an einem Nachbau der Titanic gearbeitet, der 2021 fertig werden soll.

Sie haben viel mit China zu tun, aber keinen chinesischen Namen?

Die chinesische Sprache ist vielfältig und so kann ein Schriftzeichen viel mehr ausdrücken als unsere „seichten Silben“. Viele Laowais, die in China leben oder geschäftlich viel mit China zu tun haben, lassen sich einen chinesischen Namen geben, da es für Chinesen wiederum leichter ist, sich einen chinesischen Namen zu merken als einen Englischen.
Bei der Auswahl eines chinesischen Namens kann man sich als Laowai im Großen und Ganzen zwischen zwei Methoden entscheiden:

  1. Einen Namen mit Bedeutung
    Zum Beispiel: Thomas Müller fährt gerne Ski. Er kommt auch aus Tirol. Sein Geschäftspartner gab ihm den Namen Xuě Shān, was so viel wie Schneeberg bedeutet.
  2. Einen Namen, der Ihrem phonetisch ähnelt
    So wird aus einem Michael beispielsweise ein 米歇尔 – Mǐxiēěr, aus Elisabeth wird Yīlìshābái und aus Katarina Kǎtèlǐnà.

Unter „chinese name generator“ findet man bei Google jede Menge Seiten, die westliche Namen bereits phonetisch übersetzt haben. Sollte ein Name mit Bedeutung gewünscht sein, können Sie mir gerne eine E-Mail schicken.