Das chinesische Geschäftsessen

„Gemeinsame Abendessen in China sind wichtiger als jedes stundenlanges Meeting am Konferenztisch!“, sagte einer meiner Teilnehmer an einem interkulturellen Training. Und ich musste ihm lächelnd zustimmen.

Es könnte so oder so ähnlich aussehen: Sie sind gerade in China angekommen. Sie werden von ihrem chinesischen Geschäftspartner am Flughafen erwartet. Gemeinsam fahren Sie zur Begrüßung in die Firma. Danach ins Hotel zum Frischmachen. Anschließend gibt es auswärts Abendessen in einem Restaurant. Zwei bis drei Mitarbeiter sitzen bereits dort in einem separaten Raum (oft im ersten Stock) und man kommt Ihnen entgegen, sobald Sie eingetreten sind. In der Mitte des Raumes befindet sich ein runder Tisch mit einer Glasplatte, die man drehen kann. Auf der Glasplatte stehen bereits einige kalte Speisen. Um den Tisch einige Sessel mit hübschen Bezügen. Jeder Platz ist mit Tellern, einer Schüssel, Gläsern, Stäbchen sowie einem Löffel und einer Stoffserviette gedeckt.
Nachdem Sie eingetroffen sind, erkundigt man sich nach Ihrem Befinden. Wie denn die Anreise gewesen sei. Welchen Eindruck Sie von China hätten und ob Sie das erste Mal in China sind. Sie beantworten alle Fragen und bekommen einen Sitzplatz zugewiesen und ein kleines Geschenk überreicht, das einen Bezug zur chinesischen Kultur hat. Ihr chinesischer Geschäftspartner wird sich neben Sie setzen und anschließend werden noch ein bis zwei Gäste dazukommen. Sie werden gefragt, was Sie gerne essen wollen bzw. gefragt, was Sie gar nicht mögen. Ein Mitarbeiter der chinesischen Firma wird vermutlich eine Weinflasche sowie eine Schnapsflasche aus seinem mitgebrachten Sackerl auf den Tisch stellen und öffnen (lassen). Nach und nach kommen die Speisen und Sie bekommen Neues von Ihrem Sitznachbarn direkt auf den Teller gelegt. Sie essen und trinken. Der chinesische Gastgeber hält eine Rede zu Ihren Ehren, stößt auf Sie an und Sie fühlen sich gut aufgehoben und im Mittelpunkt des Geschehens. Alle Mitarbeiter wollen mit Ihnen anstoßen und Sie gehen dem gerne nach. Nach drei Stunden fallen Sie satt und leicht betrunken ins Bett im Hotelzimmer.

Am nächsten Morgen fahren Sie nach dem Frühstück zur Firma, um zu unterzeichnen, weswegen Sie nach China gekommen sind. Ihr chinesischer Geschäftspartner ist jedoch nicht da. Haben Sie etwas falsch gemacht?

Geschäftsessen Know-how

Bei einem chinesischen Geschäftsessen gibt es einige Regeln, die Sie kennen sollten, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Anbei finden Sie eine Übersicht der wichtigsten Regeln mit gelegentlichem Bezug auf den o.g. Ablauf und der „Aufklärung“, was schief gelaufen sein könnte.

  • Pünktlichkeit: Chinesen legen großen Wert auf Pünktlichkeit, da dies eine Form des Respekts ist. Geben Sie acht, dass Sie zu einem Abendessen nicht zu spät kommen.
  • Gesprächsthemen: Im anfänglichen Smalltalk will man Sie und Ihren Charakter kennenlernen. Die Fragen, welchen Eindruck Sie von China haben und wie die Anreise war, sind Fragen, die bei einer negativen Beantwortung Rückschlüsse ziehen lassen und die Frage aufwirft, ob Sie schnell und leichtfertig negativ über (potentielle) Geschäftspartner sprechen. Gute Smalltalkthemen sind Hobbys, Heimat, Familie (solange man nicht von der Scheidung vor einem Monat berichtet) und das Thema Essen.

  • Sitzplatz: Dass Chinesen sehr traditionell sind, kann man auch an der Sitzordnung bei Besprechungen und Geschäftsessen sehen. Der Ihnen am Vorabend zugewiesene Platz war kein Zufall, sondern es gibt eine feste Regel, wer wo sitzen soll.

Chinesen untereinander „streiten“ sich oft, wenn am Tisch Platz genommen wird und um einem Freund „Gesicht“ zu geben, wird oft auf den entsprechend „wichtigen“ Platz verzichtet.
Neben der Türe sitzen in der Regel die „unwichtigsten Personen“, manchmal ist es der Fahrer oder ein Freund, der „zufällig“ in der Nähe ist.

  • Gastgeschenk: Sie haben von Ihrem Geschäftspartner ein Geschenk bekommen, das Sie mit nach Hause nehmen können und Sie an China erinnern wird. Haben Sie auch etwas aus Ihrer Heimat mitgebracht? (mehr unter Gastgeschenke)

  • Speisen: Als das Essen gekommen ist, haben Sie eigentlich viel gegessen. Sie waren der einzige, für den eine Schale Reis bestellt wurde. Chinesen essen im Restaurant selten Reis, da dieser – so wie Suppe und Nudeln – gegessen wird, um einen hungrigen Magen zu stillen. Im Restaurant wurden sicher Speisen bestellt, bis der Tisch sich gebogen hat. Viele Teller mit unterschiedlichen Gerichten, manche vegetarisch, manche mit Fisch und/oder Fleisch. Um einen guten Eindruck zu hinterlassen, sollte man sich nach den Spezialitäten erkundigen und im besten Fall, nachfragen wie diese zubereitet werden. So zeigen Sie Interesse und man wird Ihnen vermutlich eine dieser Spezialitäten auf den Teller legen. Sollten Sie einen „Saumagen“ haben und zugleich genau so neugierig wie ich sein, dann werden Sie sicher alles probieren. Wenn Ihnen der Anblick jedoch bereits Magenschmerzen verursacht, müssen Sie es nicht essen. ABER: Sie sollten die Spezialität auf keinen Fall ignorieren! Sie könnten „es“ zu Ihrer Nase führen und daran riechen, ein „interessant“ aussprechen und sich erkundigen, wo das Gericht denn herkomme und wie es zubereitet wird. Schnell wird man nach Beantwortung der Frage zum nächsten Gesprächsthema wechseln und Sie können die Spezialität am Rande des Tellers liegen lassen.

  • Trinken und Alkohol: Schon in der ersten halben Stunde nach Essensbeginn erhebt sich der Gastgeber und hält eine kleine Rede und prostet Ihnen zu. Wie wunderbar. Sie trinken Gānbēi! auf einen Satz das Glas aus. Kaum haben Sie sich wieder hingesetzt und den zweiten Bissen im Hals, kommt der nächste am Tisch und bekundet seine Freude, dass Sie hier sind und prostet Ihnen zu. Wieder ex. Das wiederholt sich, bis jeder einmal dran war. Am Ende haben Sie sechs Gläser, die anderen aber nur ein Glas, intus.
    Das könnten Sie umgehen, indem Sie beim Geschäftsessen als Erstes aufstehen, sich bei dem Gegenüber bedanken, dass Sie alle gekommen sind und den Abend mit Ihnen verbringen. Prosten Sie in die Runde, stoßen Sie mit allen an und trinken Sie alle gemeinsam.

Sollte es doch dazu kommen, dass Sie einzeln anstoßen, seien Sie kreativ bei den Ansprachen, denn vor jedem Trinken, sollte man den anderen loben bzw. in ein gutes Licht stellen (=Gesicht geben). Achten Sie auf die Stellung des Glases. Der Rand Ihres Glases sollte stets unter dem des Gegenübers sein, denn auch so drücken Sie Ihren Respekt gegenüber dieser Person aus (und auch, dass Sie sich in der Hierarchie unter ihm sehen, aber das nimmt man nicht so genau und wird auch eher als „Gesicht geben“ gewertet).

Trinkrituale fördern den Aufbau persönlicher Beziehungen

Sollten Sie keinen Alkohol trinken wollen, dann sollten Sie dies von Anfang an kundtun. Gängige „Ausreden“ sind, dass Sie derzeit Medikamente nehmen oder „allergisch“ auf Alkohol reagieren würden.

  • Fürsorge: Die Person, die links neben Ihnen sitzt, hat den rituellen Auftrag, sich darum zu kümmern, dass sich auf Ihrem Teller immer genug zu essen befindet. Außerdem ist diese Person auch dafür verantwortlich, dass Sie immer etwas zu trinken in Ihrem Glas haben. Auch wenn Sie nichts mehr trinken wollen, sollten Sie sich nachschenken lassen. Am Ende des Essens müssen nicht alle Gläser ausgetrunken sein.
  • Stäbchen vs. Besteck: Wenn Sie mit Stäbchen nicht so gut essen können, können Sie nach Besteck fragen. Niemand wird sie auslachen. Sollten Sie jedoch im Umgang mit Stäbchen geübt sein, wird dies mit Sicherheit positiv auffallen. (Sie können es üben, indem Sie einen Teller mit Erdnüssen mit Stäbchen essen).
  • Rechnung: Wenn alle mit dem Essen fertig sind, steht man auf und geht. Es gibt kein „gemütliches Zusammensitzen“ nachdem die Teller abgeräumt wurden. Sind alle satt, verlässt man das Lokal. Doch wer bezahlt? In der Regel bezahlt der, der die Einladung ausgesprochen hat und den Sitzplatz gegenüber der Tür innehatte. Meistens ist das auch derjenige, der die Speisen ausgesucht und bestellt hat. Auch wenn von Anfang an klar ist, wer die Rechnung begleichen wird, sollten Sie mit dem Gastgeber kurz um das Bezahlen der Rechnung „streiten“. Sollten Sie wirklich bezahlen wollen, müssten Sie sich bevor alle fertig gegessen haben nach draußen schleichen und beim Kellner bezahlen. Direkt am Tisch hätten Sie sehr wahrscheinlich keine Chance.
  • Alles aufessen? Wie oben beschrieben, der Tisch wird sich biegen. Doch wie soll man das alles aufessen? Gar nicht. Wenn alles aufgegessen werden würde, würde dies bedeuten, dass der Gastgeber knausrig war. Er hat nicht genug bestellt, damit alle satt werden können. Verschwendung? Nein. Die Chinesen werden am Ende einen Großteil der übrig gebliebenen Speisen mit nach Hause nehmen.


Fazit

Ein Geschäftsessen ist dazu da persönliche Beziehungen aufzubauen und sich gegenseitig kennenzulernen. Geschäftliche Themen sind hier selten angebracht. Zeigen Sie Ihren Charakter, bleiben Sie höflich und vor allem respektvoll, dann werden Sie einen wundervollen Abend genießen.

Und noch ein Tipp am Schluss: die gläserne Tischplatte, auf der die Speisen stehen, wird immer nur im Uhrzeigersinn gedreht!